MARKTMISSBRAUCHSVERORDNUNG (MMVO / MAR)

 


Veröffentlichungspflicht der Zielgesellschaft

Die Zielgesellschaft kann erst ad-hoc-pflichtig werden, wenn sie in den Veräußerungsvorgang involviert wird. Falls nur ein Paketerwerb ausgehandelt wird, welcher an der bestehenden Ausrichtung der Gesellschaft nichts zu verändern vermag, liegt mangels Kursrelevanz zumeist schon keine Insiderinformation vor. Anders gestaltet sich dies, wenn ein Kontrollerwerb im Raum steht. In diesem Fall wird durch den neuen, beherrschenden Aktionär regelmäßig die weitere, strategische Entwicklung wesentlich durch dessen Vorstellungen geprägt, sodass eine kursrelevante Tatsache tendenziell zu bejahen ist.


Vorverhandlungen

Selbst wenn die Zielgesellschaft in die Kontaktaufnahme der potentiellen Vertragspartner einbezogen wird, so handelt es sich hier nur um Vorbereitungshandlungen, welche nicht veröffentlichungspflichtig sind.

In diesem frühen Stadium fehlt es an jeglicher Kursrelevanz. Nur weil eine Seite Interesse an einer Transaktion geäußert hat, kann noch nicht davon ausgegangen werden, dass die Übertragung auch nur ansatzweise wahrscheinlich geworden ist. Insbesondere ist auch die Veräußerungswilligkeit eines Hauptaktionärs kein hinreichend kursrelevantes Ereignis, um eine Ad-hoc-Pflicht zu begründen.


Letter of Intent

Die Absichtserklärung der verhandelnden Parteien kann bei der Zielgesellschaft eine zu veröffentlichende Tatsache darstellen, wenn der Kontrollwechsel strategische Bedeutung für die Aktiengesellschaft hat. Um die Transaktion nicht zu gefährden ist allerdings eine Selbstbefreiung vorzunehmen.

Anders als bei Erwerber und Veräußerer dreht sich das M&A-Geschäft um die gesamte Existenz des Zielunternehmens, sodass eine Kursrelevanz schon bei geringer Wahrscheinlichkeit des Abschlusses nach dem Probability/Magnitude-Ansatzes anzunehmen ist. Neben einer abweichenden Unternehmensphilosophie kann eine strategische Bedeutung der Transaktion insbesondere auch dadurch gegeben sein, dass die Zielgesellschaft aus dem ursprünglichen Konzern entwurzelt und/oder in eine neue Konzernstruktur eingepflegt wird. Eine Insiderinformation ist daher in diesen Fällen im Zwischenschritt der Absichtserklärung zu sehen.

Obgleich eine Insiderinformation anzunehmen ist, so kann die Ad-hoc-Publikation durch den Beschluss einer Selbstbefreiung bis zum Abschluss der Verhandlungen aufgeschoben werden (Muster für einen Befreiungsbeschluss). In diesen Konstellationen ist die Selbstbefreiung auch nicht optional im Ermessen der Zielgesellschaft. Abgesehen von einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung gegenüber dem Anteilseigner, ist sie auch kapitalmarktrechtlich verpflichtet den Beschluss zum Aufschub der Veröffentlichung zu fassen. Ansonsten könnte die Ad-hoc-Publikation als Werkzeug gegen unliebsame Übertragungen zweckentfremdet und missbraucht werden.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Fassen die Verhandlungsparteien einen Letter of Intent, so empfiehlt es sich in jedem Fall für den Emittenten einen vorsorglichen Befreiungsbeschluss zu fassen und diesen sorgfältig zu dokumentieren. Denn auch wenn er die Insiderinformation nicht veröffentlichen darf, so kann er dennoch dafür sanktioniert werden, dass er seine Marktpflichten nicht ordnungsgemäß wahrgenommen hat.


Due Diligence

Die Gestattung einer Due Diligence zeigt das Eigeninteresse der Zielgesellschaft an der Transaktion und stellt damit eine eigene Insiderinformation dar. Jedoch ist diese im Rahmen einer Selbstbefreiung von der Veröffentlichung freigestellt.

Das Zielunternehmen wird eine Due Diligence bei sich nur zulassen, wenn es selbst die Transaktion fördern will. Der Umstand, dass die Aktiengesellschaft dem potentiellen Käufer zugetan ist, stellt für sich selbst genommen schon eine Tatsache dar, welche ein verständiger Anleger bei seinen weiteren Anlageentscheidungen berücksichtigen würde. Zwar steigt durch diese Bekundung auch die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens der Transaktion, jedoch ist diese immer noch nicht wahrscheinlich genug, um den Gesamtvorgang als präzise in Bezug auf eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Sinne einer Insiderinformation zu erfassen. Vorliegend kann die Zielgesellschaft sich erneut von der Pflicht zur Ad-hoc-Meldung selbst befreien, um die von ihr unterstützten Verhandlungen nicht zu gefährden. 

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Da es sich um einen neuen relevanten Zwischenschritt handelt, empfiehlt es sich, unabhängig von vorherigen Beschlüssen, die erneute Selbstbefreiung vorzunehmen und zu dokumentieren.


Wirtschaftliche Einigung 

Sobald die verhandelnden Parteien sich über die wesentlichen Verkaufsmodalitäten einig geworden sind, werden sie es die Zielgesellschaft wissen lassen, sodass eine Insiderinformation bei ihr entsteht. Um die Transaktion nicht zu gefährden ist ein Selbstbefreiungsbeschluss zu fassen.

Stehen die wesentlichen Eckpunkte der Transaktion, so wurde der Übergang des Zielunternehmens auf einen neuen Eigentümer wahrscheinlicher als das Scheitern der Verhandlungen. Die Aktiengesellschaft muss sich auf die bevorstehende Übertragung einstellen. Nicht selten verändert sich durch den Aktionärswechsel auch die strategische Ausrichtung des Unternehmens, sodass diese Information nicht selten kursrelevant ist. Selbst wenn bereits vorher Insiderinformationen vorlagen, so entsteht hier eine ad-hoc-pflichtige Tatsache, insofern der Gesamtvorgang zur Insiderinformation erwächst und somit die Restunsicherheit des verständigen Anlegers zerstreut wird. Damit der Vertragsschluss zu den vereinbarten Konditionen auch zustande kommen kann, ist von der Veröffentlichung der Insiderinformation noch abzusehen und ein Aufschub der Ad-hoc-Meldung zu beschließen.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Insiderinformationen können bei der Zielgesellschaft immer erst dann entstehen, wenn sie von den verhandelnden Parteien über die laufenden Entwicklungen in Kenntnis gesetzt wird. Sollte die Zielgesellschaft schon über den Erfolg der Due Diligence informiert worden sein, so entsteht bereits damit die Insiderinformation hinsichtlich des Endergebnisses, da die Einigung und der daraus folgende Übergang des Unternehmens schon dadurch überwiegend wahrscheinlich geworden sind.


Signing

Mit Unterzeichnung des Vertrags tritt die Insiderinformation schließlich ein. Die Selbstbefreiung endet hier und alle aufgeschobenen Ad-hoc-Mitteilungen sind zu veröffentlichen.

Sowie der Vertragsschluss stattgefunden hat, steht die Veräußerung der Zielgesellschaft fest. Die Veränderung in der Unternehmensausrichtung wird damit vollzogen werden. Die Insiderinformation in Bezug auf den Gesamtvorgang aktualisiert sich folglich. Weil die Vertragsmodalitäten nun festgeschrieben sind, besteht auch die Gefahr der Beeinträchtigung der Verhandlungen nicht mehr. Durch den Wegfall des berechtigten Interesses sind alle Insiderinformationen in ihrer gegenwärtigen Form zu publizieren und der BaFin die Beschlüsse über die Selbstbefreiungen darzulegen, um eine Überprüfung zu ermöglichen.


Closing

Der dingliche Vollzug der Unternehmensübertragung löst in aller Regel keine Ad-hoc-Verpflichtung mehr aus.

Da mit dem Abschluss des Vertrags die Konditionen für den Erwerb der Gesellschaft schon offenbar wurden, ist die Transaktion in den Kurs des Wertpapiers bereits eingepreist. Ein verständiger Anleger würde dem Closing bei seiner Anlageentscheidung keine Beachtung mehr schenken. Eine Ausnahme davon besteht nur, wenn vom Vertragsschluss in erheblichem Maße abgewichen wird.