MARKTMISSBRAUCHSVERORDNUNG (MMVO / MAR)

 


Merkmale einer Insiderinformation

Damit ein Umstand als Insiderinformation konstituiert, bedarf es gemäß Art. 7 Abs. 1 MMVO zweier kumulativ vorliegender Voraussetzungen. Zunächst muss eine Information präzise genug sein, um konkrete Schlüsse aus ihr ziehen zu können. Zum anderen muss die konkrete Information auch potentiell für den Kurs des Wertpapiers von Bedeutung sein, sodass überhaupt ein Anleger an der Information Interesse zeigt.


Präzise Information

Es muss sich um einen Umstand handeln, der präzise genug ist, dass aus ihm ein konkreter Schluss auf den Aktienkurs gezogen werden kann. Für diese Kursspezifität kommt es auf die abstrakte Betrachtung eines solchen Geschehens zur Beurteilung eines Wertpapieres an. Der Umstand muss allerdings noch nicht eingetreten sein; es genügt vielmehr, wenn vernünftigerweise zu erwarten ist, dass er eintritt. Auch noch nicht stattgefundene Ereignisse können für den Kurs einer Aktie bedeutsam sein, solange der Kapitalmarkt damit rechnet, dass sie eintreten werden.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Der EuGH hat nicht eindeutig Stellung bezogen, ab wann mit dem Eintritt vernünftigerweise i.S.v. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 MMVO zu rechnen ist. Im Rahmen des deutschen Vorgängerbegriffs der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ wurde vom EuGH, der über die gleiche Formulierung der Marktmissbrauchsrichtlinie urteilen musste, lediglich dem Erfordernis einer hohen Wahrscheinlichkeit und der Probability/Magnitude-Formel aus den USA eine Absage erteilt. Viel spricht für eine Deutung des Erfordernisses als überwiegende Wahrscheinlichkeit, welche bei „50%+x“ gegeben ist. Dieses Verständnis ist konsequent, da ein Ereignis vernünftigerweise erwartet werden kann, wenn sein Eintritt wahrscheinlicher ist als sein Ausbleiben.


Kursrelevanz

Gesondert davon ist festzustellen, ob die Information Eignung zur Kursänderung aufweist. Dies ist gemäß Art. 7 Abs. 4 Unterabs. 1 MMVO der Fall, wenn ein verständiger Anleger bei öffentlichem Bekanntwerden der Information diese bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde. Es handelt sich um eine objektivierte ex-ante-Betrachtung. Der Verordnungsgeber stellt zwar nicht auf einen professionell tätigen Investor ab, trotzdem fordert er aber auch ein gewisses Maß an Marktkenntnis seitens des Adressaten, da nicht von einem durchschnittlichen Anleger ausgegangen wird. Die Erwägungen der Kursrelevanz dürfen demnach subjektive Tendenzen, soweit sie einem Marktkundigen zuzutrauen sind, enthalten, müssen aber im Wesentlichen auf fundiert begründete Erwägungen zurückzuführen sein.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Es kommt nicht darauf an, ob die Kursänderung später tatsächlich eintritt; sie ist lediglich Indiz. Maßgeblich ist nur die Prognose im Zeitpunkt der Entstehung der Information. Aufgrund der Unvorhersehbarkeit der Marktvolatilitäten ist entscheidend, dass die Entscheidung zur Qualifikation der Information dokumentiert wird, sodass glaubhaft dargelegt werden kann, weshalb (nicht) von einer kursrelevanten Insiderinformation ausgegangen wurde. Grundsätzlich gilt zudem, je überraschender die Information, desto eher ist von einer Kursrelevanz auszugehen.