MARKTMISSBRAUCHSVERORDNUNG (MMVO / MAR)

 


Einvernehmliches Ausscheiden eines Vorstands

Der Musterfall der kursrelevanten Personalveränderung ist das Ausscheiden des Vorstandsvorsitzenden. Die Entscheidung über die Abberufung des Vorstands liegt gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 AktG einzig beim Aufsichtsrat. Dennoch ist im Rahmen eines mehrstufigen Geschehensverlaufs der Entscheidungs- und Verständigungsprozess im Vorfeld einzubeziehen, da dort bereits Ausscheidens- aber auch Nachfolgeregelungen getroffen werden.


Willensbildung des Vorstands

Die Willensbildung des Vorstands kann noch keine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation darstellen.

Die Gedanken des Vorstands kann die Gesellschaft nicht kennen, sodass sie auch nicht dazu verpflichtet sein kann, eine Ad-hoc-Meldung herauszugeben. Solange die Information im privaten Bereich des Vorstands verbleibt, etwa weil er sich dort Rat oder Bestätigung einholt, handelt es sich nur um eine Erwägung, der es an der nötigen Präzision fehlt. Zudem ist noch nicht absehbar, ob der Aufsichtsrat seine Zustimmung zu einem einvernehmlichen Ausscheiden erteilt.


Vorabsprachen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden

Sobald der Vorstand seinen Ausscheidenswunsch dem Aufsichtsratsvorsitzenden mitteilt, liegt eine Insiderinformation vor. Die Ad-hoc-Meldung kann jedoch durch Selbstbefreiung aufgeschoben werden (Muster für einen Befreiungsbeschluss).

Durch Vorabsprachen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden erlangt die Gesellschaft Kenntnis von den Plänen des Vorstandsmitglieds, sein Amt abzugeben. Die Verwirklichung des Vorhabens selbst ist jedoch noch nicht überwiegend wahrscheinlich, da einerseits ungewiss ist, ob der Aufsichtsrat dem Ersuchen nachkommt, und andererseits auch noch nicht feststeht, wann ein geeigneter Nachfolger den Ausscheidenden ablösen kann. Der Gesamtvorgang ist somit noch keine kursrelevante Insiderinformation.

Allerdings könnte das Gesuch als Zwischenschritt ad-hoc-pflichtig sein. Durch den Wunsch der Amtsabgabe bringt der Vorstand zum Ausdruck, seiner Position müde zu sein. Auch wenn er rechtlich verpflichtet ist seine Amtszeit abzuleisten, solange der Aufsichtsrat ihn nicht abberuft, ist davon auszugehen, dass er sich faktisch nicht mehr mit vollem Eifer um die Belange des Unternehmens kümmern wird. Diese Amtsverdrossenheit wird sich in den meisten Fällen im Erfolg des Unternehmens niederschlagen, sodass ein verständiger Anleger dies bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde.

Es besteht die Möglichkeit zur Selbstbefreiung, da die Suche eines Nachfolgers wesentlich erschwert würde, wenn die Öffentlichkeit alle Sondierungsgespräche akribisch verfolgen würde. Im Gegensatz zum einseitigen Rücktritt besteht auch nicht das erhöhte Risiko des Insiderhandels, da die Gesellschaft nicht Gefahr läuft führungslos zu werden.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Die Zuständigkeit für die Selbstbefreiung bzw. die Ad-hoc-Mitteilung liegt unverändert beim Vorstand. In Bezug auf die Selbstbefreiung wäre ein Übergang auf den Aufsichtsrat zwar denkbar, allerdings bedürfte es dafür eines Wissensvorsprungs gegenüber dem Vorstand. Da dieser einvernehmlich mit dem Aufsichtsrat handelt, besteht keine Informationsasymmetrie und mindestens ein Vorstandsmitglied muss die Selbstbefreiung beschließen. Aus Gründen der Beweislastverteilung sollte der Beschluss zur Selbstbefreiung ausführlich dokumentiert werden, um der BaFin das Vorliegen der Voraussetzungen des Aufschubs nachweisen zu können.


Information des Aufsichtsrats

Durch die Information des Aufsichtsrats wird eine Insiderinformation entstehen, wenn der Aufsichtsrat dem Amtsniederlegungsersuchen grundsätzlich nachkommt. Um die Suche nach einem passenden Nachfolger nicht zu erschweren, ist eine Selbstbefreiung möglich.

Wird dem Aufsichtsrat der Wunsch des Vorstandsmitglieds abtreten zu wollen vorgelegt und er stimmt diesem Gesuch prinzipiell zu, so ist dessen Ausscheiden überwiegend wahrscheinlich; es entsteht eine veröffentlichungspflichtige Insiderinformation, da die Ausgestaltung der Abberufung kein Umstand ist, der den Eintritt des Endergebnisses noch verhindern könnte. Insbesondere die Bedingung einen würdigen Nachfolger zu finden, hemmt die Entstehung einer Insiderinformation nicht. Zur Gewährleistung einer effizienten Suche ist es allerdings zulässig, eine Befreiung von der Publizitätspflicht zu beschließen.

KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Da erst in diesem Zeitpunkt das Gesamtgeschehen ad-hoc-pflichtig wird, ist es zwingend erforderlich einen erneuten Befreiungsbeschluss zu fassen und zu dokumentieren.


Beschlussempfehlung eines Aufsichtsratsbeschlusses

Mit der Empfehlung eines Nachfolgers durch den Vorstand wird die Insiderinformation konkretisiert. Von einer Veröffentlichung kann durch Selbstbefreiung abgesehen werden.

In den meisten Fällen wird das ausscheidende Vorstandsmitglied gegebenenfalls zusammen mit den übrigen Vorständen nach einem persönlich und fachlich passenden Nachfolger suchen. Dies geschieht zumeist in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat, sodass am Ende regelmäßig nur ein Kandidat zur Beschlussfassung vorgeschlagen wird. Durch die enge Zusammenarbeit ist es dann auch hoch wahrscheinlich, dass die Empfehlung des Vorstands in der Beschlussfassung angenommen wird. Um die Nachfolgeentscheidung nicht zu gefährden, kann an der Selbstbefreiung weiterhin festgehalten werden.


Beschluss der Aufhebung der Bestellung

Der Abbestellungsbeschluss des Aufsichtsrats ist die finale Form der Insiderinformation des Gesamtgeschehens. Sie ist ad-hoc zu publizieren.

Durch den Beschluss des Aufsichtsrats zur Aufhebung der Bestellung wird aus der zukünftigen eine geschehene Tatsache. Diese Endgültigkeit räumt jegliche Restunsicherheiten aus und schlägt sich im Kurs des Wertpapiers nieder. Es liegt somit eine letzte Aktualisierung der Insiderinformation vor. Diese ist in dieser abschließenden Form zu veröffentlichen, da das berechtigte Interesse an der Selbstbefreiung entfallen ist. Durch die in der Regel zeitgleiche Bestellung eines neuen Vorstands, ist es nicht mehr notwendig dessen Auswahl von der Öffentlichkeit abzuschirmen, da der Vorgang bereits abgeschlossen ist.


Wirksamwerden des Aufhebungsbeschlusses

Das Wirksamwerden des Beschlusses stellt keine Insiderinformation mehr dar.

Zwar tritt erst jetzt das Endergebnis ein, der Kapitalmarkt hat die Konsequenzen des Personalwechsels jedoch schon mit Bekanntgabe des Aufhebungsbeschlusses gezogen. Eine Kursrelevanz liegt mit der Umsetzung nicht mehr vor.


Eintragung im Handelsregister

Die Eintragung der Aufhebung der Bestellung stellt keine Insiderinformation dar und ist auch nicht ad-hoc-pflichtig.

Die Eintragung im Handelsregister ist ein rein deklaratorischer Akt. Ferner zeitigt er keine Kursrelevanz mehr, da der Personalwechsel bereits mit seinem endgültigen Feststehen durch den Aufsichtsratsbeschluss in den Kurs eingepreist wurde.