Selbstbefreiung von der Ad-Hoc-Pflicht durch Aufschubbeschluss
Nach Auffassung der BaFin ist es notwendig, dass ein Aufschubbeschluss über die Befreiung von der Ad-hoc-Meldung gefasst wird. Der Vorgang ist kein Automatismus. Insbesondere geht die BaFin davon aus, dass mindestens ein Vorstandsmitglied am Beschluss des Aufschubs mitwirken muss. Insoweit die Feststellung, ob bzw. ab wann eine Insiderinformation vorliegt, gerade bei gestreckten Geschehensabläufen schwierig ist, akzeptiert die BaFin es, wenn ein Beschluss über eine vorsorgliche Befreiung gefasst wird, um sich gegen die Sanktionen eines Verstoßes abzusichern (Muster für die Beschlussfassung). Nur wenn der Vorstand keine Kenntnis von der Insiderinformation hat, beispielsweise da der Aufsichtsrat über die Abberufung eines Vorstandsmitglieds berät, darf der Aufsichtsrat im Rahmen einer Annexkompetenz die Selbstbefreiung selbst vornehmen. Jedoch entbindet dieser Vorgang den Emittenten nicht davon die Befreiung im Fortgang des Geschehens sorgsam zu kontrollieren und beim Eintreten weiterer Zwischenschritte oder der Absehbarkeit des Endergebnisses erneute Beschlüsse zu fassen.
Da die Selbstbefreiung nur vorübergehend möglich ist, ist der Emittent permanent verpflichtet das Fortbestehen der Befreiung zu überprüfen. Für die Überwachung der Voraussetzungen kann auf die Mitwirkung eines Vorstandsmitglieds verzichtet werden. Sobald auch nur eine Bedingung nicht mehr erfüllt ist, ist die Veröffentlichung der Insiderinformation unverzüglich nachzuholen und die BaFin gemäß Art 17 Abs. 4 Unterabs. 3 MMVO über den Aufschub zu informieren sowie dessen Gründe schriftlich zu erläutern.
KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Da die BaFin für die Selbstbefreiung eine Entscheidung voraussetzt, ist es notwendig den Befreiungsbeschluss ausreichend zu dokumentieren. Dies ist insbesondere auch erforderlich, da die BaFin die vorsorgliche Befreiung zugelassen hat und diese ohne hinreichende Dokumentation missbräuchlich verwendet werden könnte. Auch die Kontrolle der Befreiungsvoraussetzungen sollte ausführlich und in regelmäßigen Abständen dokumentiert werden, um der BaFin bei Bekanntgabe der aufgeschobenen Insiderinformation die Zulässigkeit des Aufschubs lückenlos nachweisen zu können. |
Berechtigtes Interesse
Ein berechtigtes Interesse des Emittenten liegt regelmäßig dann vor, wenn Unternehmensentwicklung und -ziele durch die Ad-hoc-Veröffentlichung gefährdet, beeinträchtigt oder vereitelt werden. In Erwägungsgrund 50 MMVO werden beispielhaft M&A-Verhandlungen aufgeführt, welche durch die sofortige Publikation gefährdet würden. Als zweites Beispiel wird die Genehmigung von Geschäftsführungshandlungen genannt, wenn zur rechtswirksamen Beschlussfassung zwei voneinander unabhängige Organe zusammenwirken müssen und eine Bekanntgabe des Beschlusses des ersten Organs, auch unter Hinweis auf die vakante Zustimmung des Kontrollorgans, durch seine sofortige Veröffentlichung dem Publikum schaden würde.
Aus diesen Regelbeispielen lässt sich ableiten, dass ein berechtigtes Interesse schwerwiegenden Charakter haben muss. Die ESMA nennt in ihrem Leitfaden zudem die Produktentwicklung oder Erfindung vor der Patentanmeldung, den Erwerb oder die Veräußerung einer Mehrheitsbeteiligung an einer anderen Gesellschaft sowie die ausstehende Zustimmung einer Behörde, sofern diese an Bedingungen geknüpft ist. In all diesen Fällen muss immer positiv festgestellt werden, dass die Ad-hoc-Veröffentlichung dem verfolgten Ziel schadet.
KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Die Annahme eines berechtigten Interesses ist stets mit Vorsicht zu genießen, da die ESMA strenge Maßstäbe durch ihren Leitfaden gesetzt hat. Dieser fasst sich wiederum in Teilen sogar strenger als es der Wortlaut der MMVO zulässt, sodass sich die Frage aufwirft, inwieweit er entgegen der vorrangigen Verordnung haltbar sein wird. Ferner spitzt sich die Lage für Emittenten zu, weil die BaFin noch keine verlässliche Stellungnahme abgegeben hat, was bei ihrer Bewertung als ausreichend konstituiert. Der Emittent bleibt insoweit von den Behörden im Stich gelassen, wenn er über die Selbstbefreiung befinden muss. Aus dieser Konsequenz empfiehlt es sich abermals die Entscheidung in all ihren Facetten fundiert zu begründen und zu dokumentieren, um möglichen Sanktionen zu entgehen. |
Keine Irreführung der Öffentlichkeit
Im Rahmen der Öffentlichkeitsinformation muss der Emittent darauf achten, dass die Selbstbefreiung nicht zur Folge hat, dass der Markt in die Irre geführt wird. Die ESMA konkretisiert eine Irreführung in ihrem Konsultationspapier. Die aufgeschobene Information darf weder in Widerspruch zu früheren Veröffentlichungen in derselben Angelegenheit stehen noch darf sie konträr zu Markterwartungen sein, die aufgrund vorheriger Andeutungen des Emittenten entstanden sind. Insbesondere in Bezug auf die Nichterreichung finanzieller Ziele kann es zu einer Irreführung der Öffentlichkeit kommen. Entscheidend ist immer, dass die Irreführung auf ein vorgelagertes Fehlverhalten des Emittenten zurückzuführen ist. Eine No-Comment-Policy ist nach der geänderten Rechtslage im Nachhinein nicht mehr ausreichend.
KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Die Kommunikationspolitik des Emittenten muss vorausschauend gestaltet werden, um sich durch überstürzte Aussagen die Möglichkeit der Selbstbefreiung nicht zu verbauen. Zu empfehlen ist daher, offene Formulierungen zu nutzen und stets zu beteuern, dass es sich nur um Momentaufnahmen handelt und Zukunftsprognosen noch von vielen Variablen beeinflusst werden können. |
Sicherstellung der Geheimhaltung
Das Interesse des Emittenten an der Geheimhaltung der Insiderinformation tritt automatisch hinter dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurück, wenn die Information schon aus der Sphäre des Unternehmens entwichen ist. Dann ist gemäß Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 1 MMVO sogleich der gesamte Markt zu informieren, um Insiderhandel zu unterbinden. Der Emittent muss auf Anfrage die Sicherung seiner Insiderinformationen nachweisen. Dabei hängen die Anforderungen an die Sicherheitsvorkehrungen von mehreren Faktoren ab. Je mehr Personen Zugang zu einer Information haben, desto höhere Sicherheitsstandards sind anzusetzen. Das gleiche gilt für die Art der Aufbewahrung und der Weitergabe. Liegt die Information nur in Druckform vor, so ist sie einfacher zu sichern und zu verwahren, als wenn sie in digitaler Form vorliegt und gegebenenfalls über das Internet versendet werden soll. Dann wäre bspw. eine gesonderte Verschlüsselung notwendig. Dateien sind ohnehin notwendig mit eigenen Passwörtern zu versehen, während Hardcopies einzuschließen sind.
KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Sofern die Geheimhaltung nicht mehr sichergestellt werden kann, ist die Selbstbefreiung ad-hoc aufzuheben und die Insiderinformation ist sogleich zu publizieren. Die Frist im Rahmen des sobald wie möglich ist in diesen Fällen noch enger zu fassen als beim Entstehen der Insiderinformation, da die Gefahr des Insiderhandels ungleich größer ist und der Emittent die Veröffentlichung ohnehin vorrätig vorhalten muss. |
Reaktion auf Gerüchte
Neuerdings kann der Emittent nach Art. 17 Abs. 7 Unterabs. 2 MMVO auch verpflichtet sein, die Befreiung fallen zu lassen, wenn ein ausreichend präzises Gerücht kursiert, das nahelegt, dass die Vertraulichkeit nicht mehr gewährleistet ist. Nach der alten Rechtslage konnte der Emittent zur Aufgabe der Selbstbefreiung nur gezwungen werden, wenn das Gerücht nachweislich aus seiner Sphäre stammt. Dies hat sich geändert für die Fälle, in denen ein Gerücht so exakt zur Insiderinformation passt, dass sich das Vorliegen eines Sicherheitslecks aufdrängt.
KRAMMER JAHN-PRAXISHINWEIS: Durch diese Neuregelung soll es weiterhin nicht möglich sein, den Emittenten durch spekulatives Streuen von Gerüchten zur Bekanntgabe der Insiderinformation aus Gründen der Klarstellung zu nötigen. Das Gerücht muss so perfekt zur geheim gehaltenen Insiderinformation passen, dass es quasi keine andere Erklärung für die Entstehung des Gerüchts gibt als ein Sicherheitsleck. Praktisch ist die Neunormierung als unwiderlegbare Vermutung zu verstehen, um Beweisschwierigkeiten zu umgehen. |